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Positionen

Den Schwerpunkt des Fachbereichs Städtebau bildet die räumliche, bauliche und gestalterische Entwicklung von Stadt und Territorium unter den Aspekten der historischen, kulturellen, sozialen, politischen und ökonomischen Dimensionen. Entwicklung meint dabei einerseits das Begreifen spontan entstehender und geplanter Urbanität, andererseits die aktive Beeinflussung vom Urbanen in Form städtebaulichen Entwerfens und Handelns. Diese beiden Seiten des Umgangs mit Stadt und Territorium gehören untrennbar zusammen und spiegeln sich wider in der Dualität von Forschung und Lehre, Analyse und Entwurf, Theorie und Praxis, kreativer Kritik und künstlerischer Spekulation, sorgfältiger Planung und intellektueller Unberechenbarkeit. Städtebau bedeutet also, komplexe, oft nur latent vorhandene Zusammenhänge zu untersuchen, zu verstehen und aufzuzeigen. Das ist die Arbeit der Analyse, die auf unterschiedlichsten Ebenen – je nach Sachverhalt – installiert wird. Es gehört jedenfalls und notwendigerweise zur Leidenschaft der Disziplin, derartige Zusammenhänge aufzuspüren.

Wir sehen in allen Phänomenen des Städtischen verdeckte Logiken und potenzielle Absichten, weil wir der Überzeugung sind, dass die gebaute Umwelt und die darin gelebte Wirklichkeit einen Apparat kollektiven Bewusstseins und individueller Absichten darstellen. Städtebau bedeutet weiters Lust und Gewissheit, diese Zusammenhänge auszuloten und mittels räumlicher, struktureller und prozessualer Maßnahmen zu verlagern, also neu zu arrangieren. Lust ist dabei durchaus im engen Wortsinn zu verstehen, nämlich als Verlangen, die Dinge zu verändern, zu verbessern, zu verschönern. Das tönt nach moderner Ideologie, ist es aber nicht. Wir verfolgen nicht ein vorgeformtes Weltbild und schon gar nicht die Vorstellung einer idealen Gesellschaft, sondern eine Strategie flexibler städtebaulicher Antworten auf widersprüchliche Anforderungen. Städtebau will anscheinend Raum und Form und Ordnung schaffen, jedoch unordentliche Städte sind faszinierend, allzu ordentliche Städte verdächtig. Unordentliche Städte leben aus sich selbst heraus und bringen Urbanes hervor, in ordentlichen Städten ist es offensichtlich schwierig, so etwas hineinzubringen. Das ist das Dilemma städtebaulicher Forschung und Lehre, dass das, was „ohne uns“ produziert wird, tendenziell wesentlich lebendiger ist als das, was „wir“ produzieren.

In Wien kommen Dinge zusammen, wie sie kaum sonst wo zusammenkommen, Großstadt, sozialer Wohnbau und kapitalistische Spekulation, städtebauliche Würfe und Migration, Tradition und Innovation, drei Architekturfakultäten, jede Menge Bauskandale, Donau und Alpen, dichter Stadtkörper und lausige Peripherie, Grätzel und Lobau, Naschmarkt und Donaucity, Grinzing und Musikverein und so weiter und so fort. Es sind Raum und Form, die Wien zusammenhalten. Und diese sind unsere wichtigsten Arbeitsinstrumente, ausdrücklich: Raum und Form sind nicht Ziel, sondern die Mittel, um Stadt zu entwickeln. Es gibt dabei keine maßstäblichen Grenzen, weder nach unten noch nach oben.

Städtebau, so wie wir ihn betreiben, ist eine Art und Weise, Zusammenhänge architektonisch zu denken und zu interpretieren. Das betrifft Lehre und Forschung gleichermaßen, es gibt keine vorgefertigten Methoden, jedes Problem erfordert seine eigene, erst noch zu entwickelnde Herangehensweise, wobei wir selbstverständlich nicht jedes Mal bei null beginnen, sondern die bereits erworbene Erfahrung und Erkenntnis nutzen. Das führt zu einem ausgesprochen breiten Lösungsspektrum, von dem wir alle gleichermaßen lernen können, Studierende, Forschende, Lehrende. Es gibt deshalb aus Sicht des Städtebaus nur eine unité de doctrine: Schlüssigkeit und Intelligenz – und diese möglichst elegant und schön.

Christoph Luchsinger, 2013